Integration durch Schule und Bildung?

Projekt "Bildung ohne Grenzen" in der Richard-Grundschule, Berlin-Neukölln

Nähere Information zu diesem Projekt siiehe hier den folgenden Foliensatz (vgl. dazu auch die Menüleiste "Aktivitäten", Zweiter Akademietag, Vormittag)

Thomas Lindemann: Schule in Berlin-Neukölln

Auch in dem Buch des Journalisten Thomas Lindemann zu berlin-Neukölln (vgl. Menüleiste "Literatur" ist Schule und Integration ein zentrales Thema. Hier nun dazu zwei Auszüge, zunächst von S. 21-23, dann von S. 39-41 sowie von S. 203-205:

 

"Zu Hause ertappen meine Frau und ich uns bei der Diskussion, die wir immer gleichermaßen feige wie falsch fanden: Wollen wir unsere Kinder in eine Klasse geben, in der keiner außer ihnen deutscher Herkunft ist? Wobei uns die Herkunft herzlich egal ist, aber einige Kinder sprachen überhaupt kein Deutsch, etliche andere schlecht. Die Klassenbeste war eine niedliche Siebenjährige mit Kopftuch. Einige KInder waren hypernervös oder anders verhaltensauffällig, sodas sie einmal am Tag zum "Psychomotorik-Training" abgeholt wurden.

Trotzdem machten die Kinder einen fröhlichen und freundlichen Eindruck, alle wollten mit mir reden und stolz zeigen, was sie gerade geschafft haben. Schwer beeindruckt war ich auch davon, wie die Lehrerin, eine zierliche Person Ende fünfzig, die immer sehr leise und ernst sprach, die Klasse im Griff hatte - gerade die hibbeligen Jungs mit Konzentrationsschwierigkeiten. Aber würde es den Kindern überhaupt einen Gewinn bringen, wenn nun zwei Deutsche kommen? Zwei unter fünfundzwanzig? Und wie würden meine Jungs das aufnehmen, die noch vor ihrem zehnten Lebensjahr in einem Vorzeigestadtteil der oberen Mittelschicht mit Schlagzeugunterricht, eigener Tanztheateraufführung an der Volksbühne, Besuchen beim koreanischen Konsul und selbständiger Projektarbeit in Kleingruppen groß geworden waren? Wenn es nun plötzlich darum geht, dass alle eine gemeinsame Sprache sprechen?

Wir drücken uns vor der Entscheidung. Am Ende wird es eine andere Schule, nämlich einfach die, die sich direkt in unserer Straße befindet. Wir reden uns auch ein, dass das der Grund sei. In Wirklichkeit waren wir aber eben doch nicht ganz einverstanden damit, dass unsere Kinder die einzigen deutschen Muttersprachler in ihrer Klasse sein würden.

(...) Die Klassenlehrerin, zu der die Kinder dann kommen, ist froh. Sie wünscht sich ein bisschen Wandel, ein bisschen mehr Zuzug von "anderen Leuten". Und die anderen, das sind wir, die mit dem Abi und dem Hochschulabschluss. Dass wir trotzdem wenig Geld haben, sei gut für die Förderung: "Wenn Sie Wohngeld bekommen, immer her mit dem Antrag auf Nachlass. Jede benachteiligte Familie ist gut für unsere Flörderung." Auch für ausländische Kinder in der Klasse gebe es Zuschüsse vom Bezirk, aber leider haben sie nur eine Ausländerin hier. Ich schaue mich um und sehe zwei Mädchen mit Kopftuch, den agilen, sehr dunkelhäutigen Sammy, der so gut Fussball spielt, Yussuf und Juri und Pawel. "Die sind alle deutsch. Unsere Ausländerin kommt aus Südtirol. Italienische Wurzeln." 

 

"Der "Zuzug der jungen Leute", das hat Neuköllns Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky immer wieder gesagt, als sein Viertel zum Hype für Club- und Bargänger wurde, ändert nichts an der Grundsituation. Denn wenn die Kinder ins Grundschulalter kommen, hauen die gebildeten Jungbürger wieder ab. Buschkowsky hat das einmal einem meiner Freunde, der in Neukölln Schillerkiez lebt, ins Gesicht gesagt: "Sie finden es gut hier? Na, warten Sie mal ab, bis Ihre Freundin schwanger wird. Dann sind Sie schnell wieder weg." Ich habe das zuerst immer für Gerede gehalten, das ihm gerade in den Kram passt. Dann habe ich mit Schrecken festgestellt, dass es wirklich passiert.

Zuerst war da diese Grundschule, deren Mirgrantenanteil bei fast 100 Prozent liegt, obwohl doch genau in derselben Gegend die ganzen angesagten Bars entstehen und die digitale Bohemé abends hier rumläuft. Bekommt die denn keine Kinder? Doch. Aber die Deutschen unter ihnen wollen ihre Kinder nicht mit vielen Ausländern zusammen auf die Schule geben. Ich kenne ein Paar, das im schickeren nördlichen Ende von Neukölln lebte, aber es war ihnen immer noch nicht recht mit der Schule. Da seien ja viele Türken. Also sind sie einfach zurückgegangen in ihre Heimat Hamburg. Neukölln, das "ging nicht", da gab es gar keine Frage.

Wir reden links, aber wir leben rechts - das ist die These des Soziologen Armin Nassehei. (...) Vor ihrer eigenen Tür möchte die gebildete, dynamische Mittelschicht die Integration nicht austragen, und gerade dadurch wird sie in Deutschland zu einem größeren Problem, als es eigentlich sein müsste."

 

"Auf die Verwahrlosung hat (die frühere Grundschuldirektorin) Ruth Weber mit strengen Regeln reagiert. Nahmen Schüler und Eltern den Unterricht nicht ernst, forderte sie das eben doppelt ein. So gab es bei ihr keinen vorzeitigen Urlaub vor den Ferien durch unbegründete Krankmeldungen. (...) Einmal erschien der große Bruder zweier Schüler bei ihr, drei Tage vor Beginn der Sommerferien, um die beiden Kleinen zu entschuldigen. Sie seien leider krank geworden. Was haben sie denn?", fragte Weber. "Mumps", antwortete der junge Mann. "Ach du Schreck! Und wie sehen sie aus?", fragte Weber zurück und dachte an die unangenehmen Schwellungen im Wangen- und Ohrbereich. "Die haben überall Flecken am Körper, so rote Punkte", sagte der Bruder der Schüler, und damit saß er in der Falle. (...)

Mit Klassenreisen hat sie es ähnlich streng gehalten. (...) An Webers Schule war es undenkbar, dass muslimische Eltern ihre Töchter nicht auf Reisen mitschickten, weil sie irgendeine Art von Unsittlichkeit fürchteten. Jedes Kind sollte integriert werden.

Dennoch versuchte es eine Familie, da wurde das Mädchen vor der Klassenfahrt krankgemeldet, und Rektorin Weber sagte: "Das will ich sehen, fahren Sie mich hin." Dem Kind ging es prächtig. Am nächsten Tag kam der Onkel, entschuldigte sich wortreich und fuhr das Mädchen dann doch noch die 80 Kilometer zur Klassenfahrt. Weber hat sich immer selbst eingesetzt. (...)

Für ihre Arbeit, ihren Einsatz und sicher auch für ihre Wärme wird sie von Kindern und Eltern geliebt. Hin und wieder lädt sie auch Kinder zu sich nach Hause ein, in ihren Garten. Sie habe ja keine Enkel, sagt sie, also könne sie etwas von ihrer Zeit den Kindern geben, die es brauchen. Als Webers Sohn vor kurzem sehr krank war, kam eine kopftuchtragende Mutter auf sie zu und sagte: "Frau Weber, alle muslimischen Kinder beten abends zu Allah, dass ihr Sohn wieder gesund werden möge."

(...) Das Ergebnis ist ein "Multikulti", das hervorragend funktioniert. "Leider haben die umliegenden Schulen nicht mitgezogen", sagt Weber. "Hätten es alle so streng und klar gemacht wie wir, hätten wir in der ganzen Gegend viel weniger Probleme mit der Integration bekommen."